Smart Casual, eine Befreiung?

 
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Hin zu mehr Lässigkeit – diese Entwicklung kann man seit einiger Zeit in der Herrenmode beobachten. Für die einen ist es ein Verfall an Regeln und Stil, für die anderen eine Befreiung. Sicher ist aber, dass es hierdurch auch schwieriger wird, sich gut und vor allem differenziert anzuziehen. Regeln geben vielen einen Halt, auch in der Männermode. 

Wir Männer haben in dieser Entwicklung auch viele unserer Ausdrucksmittel entsorgt, denken wir nur an die Krawatte. Ein an sich sinnloses Bekleidungsstück, aber auch etwas, womit jeder seine Persönlichkeit und seine Zugehörigkeit ausdrücken oder unterstreichen konnte. Sei es mit kleinen aufgedruckten Chihuahuas oder strengen Regimentalstreifen.  Egal, ob es ein Mittel war, sein Outfits Outfit perfekt abzurunden oder ob es nur ein Muss war, weil die Gesellschaft eben dieses „unwichtige“ Bekleidungsstück erwartet hat. Selber habe ich die letzten 25 Jahre kaum Krawatten getragen, aber gerade jetzt, wo sich jeder Beamte und Bankberater sich traut den Binder abzulegen, macht es Spaß sich wieder zu schmücken.

Logischerweise ist eine Differenzierung auch schwieriger, wenn man nur T-Shirt, Bermudas und weiße Sneakers trägt. Eine eigene Note in dieser Kombination zu entwickeln geht, aber nur mit vielen Überlegungen und einem sensiblen Umgang mit dem eigenen Stil.

Erst einmal ist es sicher wichtig zu betrachten, was ein perfektes Outfit für Männer ausmacht. 

Bei den Herren sollte das nie ein Streben nach Perfektion sein. Männer sollten immer Brüche in ihrem Outfit haben. Es sollte immer ein unerwarteter Twist in der Kombination sein, oft mit einem gewollten Bruch in der erwarteten Konformität. Wo eine Frau immer nach einem Gürtel, Schuhen, Handschuhe oder Handtasche im gleichen Ton und Leder gesucht hat, wählt der Man ein passende Gürtel-Farbe zu seinen Schuhen, aber dann bewusst nicht im gleichem Leder, das Muster vom Einstecktuch passt irgendwie zur Krawatte, aber nur neureiche Düsseldorfer im Lamborghini würden das genau gleiche Einstecktuch zur Krawatte wählen.

Ein gut angezogener Mann achtet auch auf Proportionen, eine Grundvoraussetzung in der Mode, worauf kaum Rücksicht genommen wird. Ist es sportlich, lässig und relaxt, wenn ich plötzlich mein Oberhemd über der Hose trage? Mit Sicherheit macht es meinen Oberkörper länger und verkürzt optisch meine Beine, unabhängig davon, ob es stilistisch passt. Ohne selbstverliebt zu werden, lohnt es sich, zwei bis drei  Minuten vor einen großen Spiegel zu stehen, um meine Stärken und Schwächen im Körperbau zu entdecken um diese dann zu betonen oder zu kaschieren. Hängt eine meiner Schultern, sind sie gleich breit, sind meine Arme gleich lang, habe ich einen runden Rücken, flachen Hintern oder kräftige Waden? 90% meiner Kunden entdecken bei einem Maßnehmen bei mir plötzlich neue Seiten an ihrem eigenen Körper. Dies soll nicht zu Minderwertigkeitskomplexen führen, jeder Orthopäde und Schneider weiß, dass Symmetrie im Körperbau selten ist und wie sie aber hergestellt werden kann.

Ist die „Casualisierung“ tatsächlich eine Befreiung oder doch eher eine Gleichgültigkeit? War Andy Warhols ewige Kombination aus dunkelblauem Blazer zur Jeans eine Rebellion, die wir heute als völlig normal ansehen? So normal, dass fast jeder heute ein Sakko zur Jeans anzieht. Sieht der Geübte sofort, dass es ein übrig gebliebenes Sakko vom Anzug ist? Ja! Manchmal sogar der Ungeübte. Nicht jedes Sakko sieht zur Jeans gut kombiniert aus. Stofflichkeit und allem voran der Schnitt zeigt, ob man in der Früh überlegt hat, was der Tag bringen kann. 

Was macht ein Outfit casual? Sicher, dass es nicht die konventionellen Regeln von Männerbekleidung einhält. Dass es oft in Baumwolle ist statt in Wolle. Aber gerade dies kann zu ganz spannenden Kombinationen führen. Ein Woll-Kaban sieht in der Kombination immer anders aus als die technische Nylonjacke von Jack Wolfskin. Wenn ich an einem regnerischen Sonntag auf der Alb wandern gehe, haben Jack Wolfskin und seine Brüder immer eine Berechtigung, in der Stadt und mit Kundenkontakt sieht die Chino mit einem Woll-Kaban immer überlegter und gepflegter aus! Ein 5-Pocket in Wolle ist gepflegt und casual zugleich, kann nur aber selten in der Waschmaschine. Dies wird aber zu verkraften sein?

Will ich ein Casualoutfit, aber doch immer so gepflegt sein, dass kein Kunde überlegt, ob ich gerade vom Wandern oder vom Sport komme, ist das eine oder andere Teile aus dem konventionellen Bekleidungkanon doch unerlässlich. Allerdings kann dies auch nur ein gepflegter Gürtel  oder doch die Schuhe mit Ledersohle sein.

Noch spezifischer können wir das Hemd anschauen. Erster Tipp, nie eine Kurzarmhemd! Nie! Wollen Sie wie ein Busfahrer, Parkwächter oder ähnliches aussehen? Dann gerne – sonst nie! Ja, es ist auch in Deutschland warm, manchmal sogar heiß, aber das Hemd wärmt nicht, weil es lange Ärmel hat. Immer männlicher ist ein Langarmhemd und es kann Situationen geben, wo ein hoch gekrempeltes Hemd sogar sehr casual aussieht. Achten Sie auf die Stoffe, ein shiny Oberhemd sportlich und leger zu kombinieren ist unmöglich. 

Ein weiterer unterschätzter Tipp: Jede Applikation ist im Berufsleben eher schwierig. Ein La Martina Hemd mit einer Snow-Polo Aussage von Gstaad ist nur cool, wenn man auch tatsächlich teilgenommen hat. Fancy Applikationen in der Leiste, im Innenkragen und auf der Manschette suggerieren keine Seriosität. Dies war vor 5-10 Jahren auch nicht anders, als diese Moderichtung en vogue war. Es sind eher Details wie Schnitt, Taschen und Knöpfe, die eine Lässigkeit erzeugen.

Ein Hemd über der Hose tragen? Wer ist denn auf diese Idee gekommen? Um Lässigkeit zu erzielen? Mich erinnert es an die 80`er, als der Pullover in die Hose gesteckt wurde. Immer noch weiß niemand, warum! Wenn, dann wenigsten mit einem Saumabschluss, bei dem erkennbar ist, dass dies genau so gewollt ist. 

Ein Jeanshemd ist wohl ein gutes Beispiel, wie man ein Sakko leger aussehen lassen kann. Sieht es aus wie eine Parodie auf Boss Hoss,  muss wohl das Sakko sehr leger sein, dass es passt. Aber eine Leiste und 2 Brusttaschen sind durchaus normal bei einem Jeanshemd und passen gut unter ein Sakko. 

Ein Flanellhemd unter dem Sakko im Winter ist auch erlaubt, allerdings nur, wenn es nicht altmodisch kariert ist à la Gauland. 

Achten Sie auch auf die Steifigkeit vom Kragen. Ein Kragen wie ein Pappendeckel wird selten leger aussehen, ein Haifisch-Kragen bei einem Flanellhemd auch eher „interessant“ aussehen.

Dies sind ein paar ersten Gedanken zu Smart Casual. Ich spüre bei meinen Beratungen, dass hier ein Bedarf an Kommunikation besteht. Ein Aufspielen als Professor liegt mir fern, aber ein Tipp hier und da kann vielleicht dem ein oder anderen Mann helfen. Ich werde in unregelmäßigen Abständen weitere Gedanken hierzu niederschreiben, bleiben Sie dran.

Ihr Jesper Ploug